Beate Grams im Interview mit ROCKTIMES

 

Interview mit Beate Grams und Lutz Müller-Bohlen Genannt Gramm

»Schwarz und Weiß sind die Farben der Fotografie«
[Robert Frank]


Fotos mit Lutz Müller-Bohlen Genannt Gramm:
© Wieland Meier

Zwischenruf vom 20.02.2014


Mike Kempf

Für einen RockTimer ist es selbstverständlich, neben CD/DVD-Rezensionen, Interviews, News und Tourdaten auch ausgiebig über Konzerte zu berichten.
Wenn einem das Live-Erlebnis besonders gut gefällt, geht die Berichterstattung recht locker und zügig von der Hand. Doch damit allein ist es nicht getan, denn um einen Artikel gehaltvoller und interessanter zu gestalten, sind dazugehörige Konzertfotos quasi das Salz in der Suppe. Neben Musikredakteuren tummeln sich mittlerweile auf jedem Konzert Dutzende von Hobbyfotografen, die mit ihren eigenen Kameras, Handpockets und Handys jeden nur erdenklichen Augenblick eines Gigs einfangen wollen. Selbst bei einigen DVD-Produktionen der Neuzeit kann man in den Total-Einstellung eine Vielzahl von Fans entdecken, die mit ihren Handys fast alle Live-Situationen fotografieren. Doch ist der Musiker, die Band, der Künstler mit jeder Ablichtung auch einverstanden? Tut man den selbigen mit der Veröffentlichung immer stets einen Gefallen? Ich selbst habe mich nun gefragt, auf welche Regularien es bei qualitativ hochwertigen Fotos ankommt? Um der Sache auf den Grund zu gehen, habe ich die Fotografin Beate Grams und den Fotografen Lutz Müller-Bohlen Genannt Gramm befragt.

Rocktimes: Hallo Beate, hallo Lutz, vielen Dank für Eure spontane Zusage für dieses Interview mit dem Thema 'gute Konzertfotografie'! Ihr seid in der Vergangenheit bei zahlreichen Live-Auftritten diverser Künstler/Musiker dabei gewesen und habt dabei den ein oder anderen 'Star' vor Eure Linse gehabt. Wie wird man eigentlich Fotograf/in?

Lutz: Wie wird man Fotograf? Hm, dafür Bedarf es eigentlich einer komplexeren Ausführung. Um es kurz zu machen: Klassischerweise ist die staatlich anerkannte Ausbildung, also die Gesellen- und Meisterprüfung. Hinzu kommt seit etlichen Jahren die Möglichkeit eines Fachhochschul- oder Hochschulstudiums. Das sind die wesentlichsten Möglichkeiten. Inzwischen, nachdem sich die rechtlichen Voraussetzungen gelockert haben, darf sich - obwohl die vorbenannten Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten natürlich bleiben - jeder Fotograf nennen, der sich dazu berufen fühlt. Diese Entwicklung hat insgesamt betrachtet Vor- und Nachteile. Ein wesentlicher Trugschluss war immer, dass ein ausgebildeter Fotograf die besseren Bilder macht. Das ist mitnichten so. Gerade im Bereich der Konzertfotografie finden sich viele Autodidakten.

Beate: Aus einem Gefühl heraus. Meine Leidenschaft zur Konzert-Fotografie hat sehr viel mit Emotionen zu tun, die ich spüre, erlebe und vor allem sehe, in mir und meinem Gegenüber. Als Audiophiler mit der Liebe zum Blues vereinen sich so Momente, die anderen vielleicht verborgen bleiben. Ich denke, wenn dann der Blues im Bild zu hören ist, wird man Fotograf genannt. Eine Ausbildung zum Fotografen habe ich nie gemacht.

Rocktimes: Ihr seid also quasi beide Autodidakt. Anhand Eurer archivierten Fotos auf Euren Homepages und Facebook-Seiten, muss ich sagen, wirken diese so professionell, dass Ihr locker mit einigen namhaften Fotografen mithalten könnt. Wie viel muss man ca. investieren, um brauchbare Bilder zu knipsen? Reicht vielleicht sogar ein Hightech-Handy aus?

Beate: Vom Handy aus können durchaus brauchbare Fotos entstehen. Natürlich liegt das immer im Auge des Betrachters und dem persönlichen Anspruch. Gerade in der Konzertfotografie hat man es oft mit den schwierigsten Lichtverhältnissen zu tun. Es ist oft verhältnismäßig zu dunkel und der Einsatz von einem Blitzgerät ist ein absolutes No-Go. Da lohnt es sich schon in eine Kamera mit einem Vollformatsensor und einem lichtstarken Objektiv zu investieren. Da können schon mal locker drei- bis viertausend Euro über die Ladentheke fliegen.

Lutz: Autodidakt jein. Ich hab mal den Beruf des Fotografen gelernt, doch dann lockte die Medizin. Hab dann parallel noch fünf Jahre für eine große norddeutsche Zeitung fotografiert und dann nur noch in medizinischen Bereichen gearbeitet, bis ich 2003 in Berlin aufgeschlagen bin. Unabhängig davon, muss man sich in jeden Bereich nicht nur einarbeiten sondern vor allem reinspüren! Da bringt einem die Ausbildung höchstens ein technisches Grundverständnis. Brauchbare Bilder und Technik, das könnte ein abendfüllendes Thema werden. Es gibt geniale Shots aus dem Publikum, an die du im Graben vorne nie drankommst - schon allein wegen der regelhaften Beschränkung auf die ersten zwei, drei Songs. Die Publikumsfotos sind dann eher mit bescheidenen Kameras aufgenommen, da die Security natürlich beim Einlass sehr genau kontrollieren. Die Bilder sind rein technisch gesehen vielleicht pixeliger, aber sie haben Atmosphäre. Das hat Fotografie immer ausgemacht. Ich liebe analoge Fotos aus Jazz-Clubs aus den 50er und 60er. Die sind körnig, Personen sind teilweise verwischt aufgrund der längeren Belichtungszeiten, aber die Bilder scheinen zu leben. Genial! Es reicht ein Hightech-Handy, klar. Es kommt letztlich darauf an, was du hinterher mit den Bildern machen willst oder musst. Auf meinen Ausstellungen hängen die Bilder in DIN-A2, und das sind teilweise sogar noch Ausschnittsvergrößerungen. Das geht dann mit einem Handy-Bild in aller Regel nicht mehr, wenn ich nicht deutlichste Abstriche machen will. Die Fähigkeiten bei wenig Licht sind doch sehr eingeschränkt, sodass die handyinterne Software die Bilder aufhübscht. Das sieht auf dem Display dann alles klasse aus, aber spätestens bei Vergrößerungen oder eben Ausschnittsvergrößerungen wird's dann matschig.
Licht ist da ein echtes Problem. Alice Cooper oder Deep Purple fotografieren sich meist von allein, weil eine geniale Lichtshow installiert ist; es ist hell. In der Speiche oder im Garbaty hast du dann eher schummeriges Licht. Da kommen normale Kameras dann an ihre Grenzen, wenn ich hinterher mit den Fotos etwas in groß machen will. Für diejenigen, die Konzertfotografie aus dem Publikum aus Spaß betreiben - Hey, Spaß soll es immer machen - reicht die Kamera, die sie durch die Security geschleust bekommen, völlig. Damit kann man tolle Fotos machen, und die sehen auf DIN A 4-Format noch richtig geil aus. Für professionellere Ansprüche muss man dann schon etwas mehr auf den Tisch blättern. Für eine hierfür solide Grundausstattung musste dann entspannt ab 1.000 Euro aufwärts rechnen. Andersherum kenne ich jemanden, der richtig sparen muss. Der macht mit einer gebrauchten Praktika für 30 Euro hammerfette, hochempfindliche Analog-Film-Aufnahmen. Alles ist relativ! Die Anforderungen in der Konzertfotografie, soweit ich sie journalistisch betreibe, sind teilweise ganz andere, als wenn ich es künstlerisch oder privat-dokumentarisch ausübe.

Rocktimes: Apropos Ausstellung. Lutz, ich hatte Deine im letzten Jahr besucht und war echt beeindruckt. Soweit ich mich erinnern kann, waren viele Schwarzweißfotos zu sehen. Erzähl mal, wie war die Resonanz? Hat es Dich einen Schritt nach vorn gebracht, eventuell Deinen Bekanntheitsgrad erhöht? Immerhin waren wohl auch bekannte Musiker vor Ort, die sich Deine Fotografien anschauten.

Lutz: Ich liebe Schwarzweißfotos. Im Moment arbeite ich mich auch wieder intensiv ins analoge Mittelformat ein. Das ist noch mal eine ganz andere Hausnummer, nicht besser, aber anders. Was einfach mit dem Medium Film zu tun hat. Aber auch das wird eine intensive Einarbeitung bedeuten, da ich damit nunmehr acht Jahre pausiert habe, was natürlich aber auch Zeit fressen wird. Schlussendlich wird das aber nicht bedeuten, wieder selbst zu entwickeln und zu vergrößern. Das werden andere Leute für mich tun. Was wirklich toll ist, dass es schon eine Reihe von Menschen gibt, auch Künstler und Musiker, die mir zugesagt haben, als Model stillzuhalten. Ich stelle mindestens einmal im Jahr aus. Dieses Jahr werden es mindestens zwei, wahrscheinlich drei Ausstellungen sein. Jede Ausstellung, jede Form von Öffentlichkeit, bringt einen voran. Viele der ausgestellten Fotos laufen ja unter anderem über die Deutsche-Presse-Agentur und werden europaweit in Print- und Online-Medien veröffentlicht. Hinzu kommt, dass etliche Fotos von den Musikern oder Veranstaltern für Promozwecke genutzt werden. Unter anderem für Alice Cooper vorletztes Jahr, Evil Jared, Johnny Winter, The Brew, Tim Fischer, Eric Bazilian, Omega oder Dirk Zöllner. Aktuell habe ich auf der letzten Ausstellung unter anderem ein Ian Gillan-Bild verkauft, das an einen Sammler von Deep Purple-Bildern nach Griechenland gegangen ist. All das sind natürlich wichtige Meilensteine. Somit ist insgesamt eine große Aufmerksamkeit für mich und meine Bilder vorhanden. Was natürlich nichts daran ändert, dass immer wieder nachgelegt werden muss, sowohl journalistisch wie künstlerisch.
So ist das Geschäft. Ebenso wenig möchte ich mich zurücklehnen, dafür bin ich viel zu ehrgeizig. Das ist natürlich ein nicht unwichtiger Aspekt. Meine Sichtweise auf Menschen ist natürlich intensiv geprägt und aufgrund meiner persönlichen Biographie habe ich zwanzig Jahre nur für den Hausgebrauch fotografiert und war von professionellen oder künstlerischen Arbeiten noch weit entfernt. Insofern drängt mich gerade etwas der Midlife-Blues. Natürlich gibt es in meinem Fundus auch thematisch noch eine Menge an vorhandenem Material wie Vincent van Gogh oder Konzentrationslager, was in die Welt muss. Hierfür ist es rein thematisch deutlich schwerer, Galerien zu finden oder Verlage, die diese Bilder drucken. Worauf ich mich allerdings riesig freue ist, dass ich - wenn alles klappt und wovon ich ausgehe - dieses Jahr gemeinsam mit dem großartigen Kollegen Günther Schäfer gemeinsam eine Ausstellung mit dem Schwerpunkt - Street-Fotografie - machen werde. Eine liebenswerte Freundschaft, die sich zum Beispiel bei meiner letzten Ausstellung ergeben hat. Wir beide profitieren wiederum von unserer Kreativität und unserem jeweiligen Netzwerk. So wächst alles, was auch ein wunderbarer Effekt von Ausstellungen ist, zusammen. Ich führe das alles deswegen etwas epischer aus, weil es ab einem gewissen Punkt eben nicht mehr reicht, Fotos für die Festplatte zu produzieren. Diesen Punkt hatte ich vor sechs Jahren. Ebenso wäre es für mich fatal, mich nur auf einen winzigen Bereich zu konzentrieren. Konzertfotografie ist nur ein kleiner Teilausschnitt, viel mehr interessieren mich Menschen.

Rocktimes: Wie sieht es bei Dir aus Beate? Hast Du Deine Fotografien auch schon ausstellen lassen und hast dabei das ein oder andere Bild schon verkaufen können? Mir ist aufgefallen, dass Du auch oftmals ohne 'Farbe' fotografierst. Wie sehen Dein Ambitionen bezüglich Deiner Fotokunst aus?

Beate: Ja, ich hatte schon die eine oder andere Anfrage bezüglich einer Ausstellung. Ambitionen habe ich viele, doch leider fehlt mir ganz einfach die Zeit... und meinen Lebensunterhalt verdiene ich ganztägig in meinem Beruf in der Medizin, so dass die Fotografie zurzeit 'nur' eine Freizeitbeschäftigung und mein Ausgleich zum Berufsleben ist. Wer meine Fotos kennt, weiß, dass ich jedes Einzelne individuell mit viel Liebe im Detail bearbeite, dies ist zwar sehr zeitintensiv, aber mein persönlicher Anspruch geworden. Und so haben schon einige meiner Fotos ihren Platz auf CD- und DVD-Cover, Veranstaltungsposter, Flyer, Musikerwebsites und Pressefotos (The German Blues Projekt, Tim Lothar, Guitar Ray And The Gamblers, Cologne Blues Club, Hoodoo Men, Schwarzbrenner, Bernd Rinser,
Johnny Mastro & Mamas Boys, Richie Arndt & The Bluenatics, Easter Blues Nights- R. Werner, Jessy Martens Band oder Marc Breitfelder) gefunden. Demnächst erscheint eines meiner Fotos als Cover auf einem Lehrbuch für Schlagzeuger.
Die größte Herausforderung in 2013 war die ganztägige, fotografische Begleitung der Hochzeit vom Harper Marc Breitfelder auf einem Segelschiff. Eine sehr spezielle, vertrauensvolle und intime Arbeit, die mir sehr viel Spaß gemacht hat. Alles insgesamt sind dies so wunderbare Anerkennungen der Musiker für meine Arbeit! Aber ein ganz wichtiger Aspekt ist für mich auch der Spaß an der Musik und die vielen netten Begegnungen, aus denen schon viele Freundschaften entstanden sind. Dies ist mir sehr wichtig, denn vor allem möchte ich mit meiner Arbeit auch einen Teil dazu beitragen, den Blues lebendig zu halten und somit auch die Musiker zu unterstützen. Wenn ich Muße habe und meiner Kreativität freien Lauf lassen kann, entstehen zum Beispiel solche Arbeiten, wie ich sie in meinen 'My Art - less is more'-Fotos zeige. Eine künstlerische Auslebung, in der ich mich beim Fotografieren im Wesentlichen auf das eigentliche Musikinstrument konzentriere und dann anschließend in der Nachbearbeitung des Fotos alles andere weitestgehend ausblende. Ich reduziere bezughaltend ganz auf das Wesentliche, um den Kern der Sache von 'unspezifischem Beiwerk' zu entfrachten. Die Resonanz ist großartig und ich denke, diese Arbeit in Zukunft auszubauen... und, vielleicht mach ich ja doch noch mal irgendwann eine Ausstellung, wer weiß…

Rocktimes: Aha, Fotografie und Medizin, da habt Ihr ja einiges gemeinsam. Um noch mehr aufs Thema Konzertfotografie einzugehen, möchte ich gern von Euch wissen, wie es mit der Seriosität im Umgang mit den Bildern von Künstlern bei Euch aussieht. Ich meine, speziell auf Facebook werden Bilder online gestellt, wo man jede Falte, jedes Nasenhaar, jede Zahnlücke, einfach alles von der betroffenen Person erkennen kann. Geht das manchmal nicht zu weit? Lasst Ihr Euch vor der Veröffentlichung ein 'Okay' vom Künstler geben? Beziehungsweise hat Euch mal ein Musiker gebeten, ein Bild von ihm zu entfernen? Wo liegen bei Euch die Grenzen, indem Ihr meint, dass man ein Bild auf keinen Fall online stellen darf?

Beate: Speziell in der Konzert-Fotografie lassen sich die Künstler sehr oft in ihre Musik 'reinfallen' und leben jeden einzelnen Ton aus. Da können einem schon mal die Gesichtszüge entgleiten, was nicht immer vorteilhaft aussieht. Oft passiert es auch, wenn man von unten fotografiert, dass man Einblicke bis in die Mandeln bekommt und weiß, was zu Abend gegessen wurde. Da versteht es sich natürlich von selbst, diese Fotos nicht der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Da ich gerne größtenteils portraitiere, ist es natürlich gewollt, Emotionen sichtbar zu machen, die nicht immer offensichtlich sind. Markante Merkmale nicht zu verdecken oder zu verstecken, sondern eher vielleicht auch hervorzuheben. Dadurch fängt das Foto doch erst richtig an zu leben! Falten, Narben, die Zahnlücke oder das Doppelkinn werden niemals wegretourschiert, denn sie sind ja nun mal da und gehören zu diesem Gesicht und machen es aus. Sie sind gewissermaßen das 'Salz in der Suppe'. Natürlich kann mal ein Pickel auf der Nase entfernt werden, ich gehe sogar soweit, jede einzelne Schuppe auf der Kleidung zu entfernen. Allerdings gibt es auch Dinge, die nicht so einfach zu kaschieren sind, wie z. B. Trauerränder unter den Fingernägeln. Da muss man dann abwägen! Wenn ich unsicher bin, ob ich dieses oder jenes Foto posten kann, frage mich einfach selbst: möchte ich auch so abgelichtet werden? Und dann ergibt sich die Antwort eigentlich schon von allein. Im negativen Fall geht das Foto nicht ins www, auch wenn es vielleicht superscharf oder das Scheinwerferlicht geradezu sensationell ist.
Ich persönlich habe noch nie Probleme mit der Veröffentlichung von Künstlerfotos gehabt. Ach, Moment mal, doch, einmal! Da wollte eine Künstlerin, dass ich ein Foto aus der Serie entferne, weil sie dort so böse gucken würde. Die meistens kennen mich und wissen, dass ich die Fotos auf 'Blues Your Soul' poste. Und kennt man sich nicht, dann frage ich die Musiker, ob es ihnen recht ist, wenn ich sie fotografiere und die Fotos auf meiner Homepage zeige. Im Großen und Ganzen ist die Resonanz ist einfach nur toll, die Musiker freuen sich und drücken dieses auch oft in meinem Gästebuch auf 'Blues Your Soul' aus. Und mal ehrlich, wenn jemandem ein Foto mal nicht gefällt und ich mit dem Bildausschnitt völlig daneben gelegen habe, genügt ja eine kurze Nachricht des Betreffenden und das Bildwerk geht sofort offline. Sehr zurückhaltend wäre ich allerdings mit Backstagefotos, dies ist wie ich finde ein intimer Bereich und der Rückzugsort der Künstler. Zwar entstehen dort oft die schönsten und interessantesten Gegebenheiten, aber dennoch nur nach vorheriger Absprache und Zusage fürs Posting. Oder ich erinnere mich auch an einen Fall, wo ein Musiker betrunken von der Bühne ins Publikum gestolpert ist. Das ist dann vielleicht für den einen oder anderen das Sensationsfoto schlechthin, aber da wäre ich eher vorsichtig.

Lutz: Das ist kein Problem von Facebook, sondern ein grundsätzliches. Gleiches findet sich gleichermaßen in Foto-Communities wie von einigen Pressekollegen. Das erste, worauf sich etliche Kollegen beim letzten Doherty-Konzert in Berlin eingeschossen hatten, war die Rumflasche auf dem Gitarrenverstärker. Je nach redaktionellem Geschmack wird dann daraus - für ein paar Cent - die ganz große Nummer daraus gestrickt. Da fangen Grenzbereiche an, wo es sich lohnt, das Gewissen einzuschalten. Ich habe übrigens diese Aufnahme auch gemacht, aber mich hinterher entschieden, diese nicht an die Agentur weiterzureichen. Ebenso hat man natürlich vor der Bühne eine disponierte Stelle, um alles großformatig rasiermesserscharf abzubilden. Da gibt es nicht Wenige, die der Auffassung sind: Pech, selber schuld. Du Künstler hattest ja die Möglichkeit, dich anders zu präsentieren. Ich sehe das für mich anders. Der Musiker mit den dreckigen Händen und abgekauten, vor Dreck strotzenden Fingernägeln, die er vor seinem Gesicht hält ..... als Nahaufnahme. Es erschließt sich in dem Zeitdruck und Gedränge nicht immer sofort, was man da fotografiert hat. Doch spätestens beim Durchschauen am PC siehst du, was du abgelichtet hast.
Wobei ich auch nicht die letzte moralische Instanz jenseits des Rio Pecos bin. Ich habe dieses Bild vor zwei Jahren mit auf eine Fotoausstellung genommen, weil es in sich stimmig war. Allerdings in soweit retuschierter Fassung, dass es nichts Bloßstellendes in sich hatte. Grenzgängerisch.... aber genau dieses Bild tickert nicht über die Agentur, wo ich keinen Einfluss mehr darauf habe, was ein Redakteur damit anstellt. Der Fotograf hat immer eine riesige Verantwortung mit dem was er macht. In sehr weiten Grenzen auch, was hinterher mit seinen Bildern gemacht wird oder gemacht werden könnte. Oder schon direkt vor Ort: Der Sänger, von dem man weiß, dass er mal ein Gläschen zuviel auf der Bühne trinkt, was auch den Charme dieses Musikers ausmacht. Es gab da durchaus Momente, wo er dann zwei Gläser Wodka zuviel hatte und hammerbreit vom Stuhl fiel. Ich würde noch nicht mal auf die Idee kommen, dann die Kamera zu zücken. Das ist das, was meine Kunden uneingeschränkt von mir erwarten dürfen: Respekt. Menschen sind kein zum Abschuss gegebenes Freiwild. Ich lasse im Studio gelegentlich Musiker in die Kamera schreien. Mitunter sieht man dann durchaus - teilweise auch erst im Nachhinein - dunkle Plomben in den Backenzähnen, einen unschönen Zahnstatus oder eine nicht werbemainstream entsprechende Zahnfarbe. Solche Sachen sind ohne großen Aufwand retuschierbar. Ich würde noch nicht mal auf die Idee kommen, einem porträtierten hierzu unretuschierte Bilder vorzulegen, geschweige denn sie in die Öffentlichkeit zu bringen.
Auch Nasenhaare oder einzelne Pickel sind ein No Go, die lassen sich mit ein paar Klicks in einer Minute entfernen. Im Studio habe ich Einfluss auf und Verantwortung für alles, seien es die Fingernägel, Haare oder Fusseln auf dem Jackett usw. Und ich halte es für sträflich, dies nicht konstruktiv zu beeinflussen. Das darf man von einem Fotografen uneingeschränkt erwarten, dem man sich quasi ausliefert. Für Aufnahmen vor der Bühne gilt ähnliches. Mir fällt eben spontan eine international renommierte deutsche Sängerin ein, die - auf Nahaufnahmen bezogen - eine sehr unschöne Teilprothese im Mund trägt. Mir fiel das erst hinterher am Computer auf. Solche Fotos lösche ich, wie ich auch grundsätzlich Agenturfotos selbst zensiere. Bei mir geht kein Foto über den Tisch, bei dem ich das - zugegeben subjektive - Gefühl habe, es könnte die abgebildete Person in irgendeiner Form diskreditieren. Dass das natürlich eine rein subjektive Geschichte ist, liegt auf der Hand. Iggy Pop mit nacktem Oberkörper auf der Bühne ist nicht jedermanns Geschmack. Aber er präsentiert sich bewusst so, so dass ich damit keinerlei Probleme habe. Andersherum gab es eine andere Situation, wo sich Fotografen gegenseitig darauf aufmerksam machten, dass einer der Protagonisten einen feuchten Fleck vorn auf der Hose hatte, wohl nach dem Toilettengang. und wacker drauf hielten. So was finde ich, gelinde gesagt, verwerflich. Natürlich gibt es auch so genannte Eitelkeiten von Porträtierten. Der faltige Hals eines langsam in die Jahre kommenden Musikers, mit dem er sich nicht gern präsentieren lassen möchte. Das gilt es uneingeschränkt zu respektieren. Für alles, was auf persönlichem Kontakten beruht, lasse ich mir von den porträtierten Freigaben geben. Alles andere zensiere ich nach meinen persönlichen Werten.

Rocktimes: Nun gut, anscheinend hat jeder Fotograf auch unterschiedliche Wertegefühle. Doch sind nicht alle Werte auf irgendeiner Weise auch käuflich? Stellt Euch vor: Einer von Euch beiden ist der einzig weltweite Fotograf der fotografisch festhält, als Mick Jagger unsere Kanzlerin abknutscht. Anschließend bietet Euch der Springer-Verlag für Euren Schnappschuss 100.000 €? Ganz ehrlich, würdet Ihr so ein Angebot ablehnen?

Lutz: Ah, ein unmoralisches Angebot! Ich habe so was schon hautnah mitbekommen, allerdings für eine Null weniger mal zwei. Der Mensch hieß vorne Harald, allerdings ging das Angebot nicht an mich. Meine Antwort wäre gewesen: eindeutig nein. Ungeachtet dessen, es ist ein No Go, wenn mir Menschen persönliche Einblicke in ihr Leben gewähren, was ja auch viel mit Vertrauen zu tun hat, und ich hintergehe sie. Wir Beide kennen ja einen Spezialisten in Sachen Lügen, Betrügen und Hintergehen. Der würde nicht nur seine Großmutter verkaufen. Und wundert sich halt, dass keiner mehr mit ihm 'spielen' will und kann sich an gewissen Orten nicht mehr blicken lassen ohne die Angst, richtig aufs Maul zu bekommen. Da wird Berlin ganz schnell zum Dorf.

Beate: Ich habe es mir abgewöhnt, mir über 'Was-Wäre-Wenn-Fragen' Gedanken zu machen.

Rocktimes: Ja Lutz, ich weiß wen Du meinst und gut, dass das Berliner Musikszene-Netzwerk immer wieder vor ihm warnt. Zurück zum Thema. Ich bin ein großer Fan von Schwarzweißfotografien. Mal abgesehen davon, dass diese ohne Farbe auskommen, möchte ich gern wissen, welche Vor- oder Nachteile sich aus den beiden Varianten ergeben?

Lutz: Ich würde das gern etwas ausführlicher beantworten. Schwarzweiß hatte immer eine starke künstlerische Komponente, in der sich Technik und Kreativität trefflich ergänzen konnten. Zu analogen Zeiten bedurfte das einer intensiven Auseinandersetzung mit Farbe (!), Licht, Technik, Chemie und vielem mehr, um zu eindrucksvollen Ergebnissen zu kommen. Der Schwarzweiß-Prozess entstand bereits beim Sehen, der Bewertung von Kontrasten, der Wahl des richtigen Films, ggf. eines Filters bis hin zu einem aufwändigen Dunkelkammerprozess zur Entwicklung mit geheimen Mixturen. Und für die Bildstrecke natürlich die Wahl des Papiers, des Entwicklers und vieles mehr, um nur einige der Schritte zu nennen. Bei der Aufnahme selbst wurde bereits die Farbe des Lippenstifts entscheidend, das Make-up, die Farben der Kleidung und weitere zahlreiche Aspekte berücksichtigt. So bestand ein unglaublich intensiver Prozess um zu dem Ergebnis zu kommen, das man anstrebte. Grundlegend unterscheidet sich das im Übrigen nicht vom Farbprozess, der - in anderer Form - vergleichbar aufwändig ist. Das Paradebeispiel - Farbe - war immer die Fotografie einer Pelzkollektion. Den Wert eines Pelzes macht dessen Farbe aus, somit muss diese im fotografischen Prozess 1:1 wiedergegeben werden, damit der Pelz nicht 'billig' wirkte. In der Digitalen Ära ist das alles leichter geworden. Thomas Saur schrieb: »Das Fotografieren ist mittlerweile so beherrschbar geworden, dass die Vorgehensweise…«. Bei dem noch der Kipprhythmus der Entwicklerflüssigkeit die Schatten oder Lichter maßgeblich beeinflussen konnte, heute wie der veraltete Zauber eines Lichtmagiers wirken muss.
Es ist deutlich einfacher geworden, zu guten Ergebnissen zu kommen. Aber es hat keine qualitative Revolution stattgefunden. Früher musste der Fotograf sich mit seinem Motiv und der Wahl der Mittel auseinandersetzen. Das Ergebnis war somit stärker von der Handschrift des Fotografen und den äußeren Bedingungen des Schaffensprozesses geprägt. Und hat mit dem Negativ bereits ein künstlerisches Unikat geschaffen. Da sind wir argumentativ sehr nah bei Jim Rakete. Ich halte es für wichtig, sich in digitalen Zeiten auf diese kunstvollen Vorgehensweisen zu besinnen. Nicht einfach Motive zu schießen im Denken, alle Widrigkeiten kann man schon virtuos am Computer richten. Digital wird ja - wenngleich diese Aussage technisch nicht 100% richtig ist - erstmal ein Farbfoto erstellt. Dieses wird dann bei Bedarf in ein Schwarzweißfoto umgewandelt. Somit kann das Schwarzweißbild in der Postproduktion ein Zufallsprodukt sein im Sinne von 'mal probieren'. Oder ich plane von vornherein, das Foto in schwarzweiß umzuwandeln - und muss dann wieder anfangen, bereits bei der Aufnahme umzudenken, so dass Ergebnisse nicht beliebig sind, sondern einem kreativen Prozess entspringen.

Beate: »Schwarz und Weiß sind die Farben der Fotografie« (Robert Frank). Die Anfänge der Fotografie waren schwarzweiß. Es war früher rein technisch gesehen gar nicht möglich, die Wirklichkeit farbig wiederzugeben. Farben lösen ja bekanntlich Gefühle aus, d. h. durch die Farbe im Foto wird der Betrachter direkt und emotional angesprochen. Dies bedeutet, dass der Verzicht auf Farbe im Foto eigentlich eine Art Reduzierung der Realität für den Betrachter ist. In einem Schwarzweißfoto dagegen wird alles in Helligkeitsabstufungen wiedergegeben. Die Gefühle im Foto treten eher in den Hintergrund, vordergründig sind klare Formen und Strukturen des Motivs. Die Bildkomposition beruht eher auf eine stimmige Hell-Dunkel-Verteilung, insgesamt wirkt das Foto also eher grafisch. Der Vorteil zu Farbaufnahmen ist, dass allein durch die Farben Schwarz und Weiß eine starke Kontrastwirkung entsteht. Das Motiv lässt sich besonders gut hervorheben, und durch gezielte Anwendung von Hell- und Dunkelbereichen kann es in einer Art neutralen Umgebung gezeigt werden. Das Foto stahlt Ruhe aus. Das Weglassen von Farbe hatte schon immer eine Art künstlerische Komponente, zeitlos - eben allein durch die Reduzierung auf Grautöne. Aber es kommt natürlich immer darauf an, welche Stimmung in den 'vier Ecken' festgehalten werden soll. Will ich in einem Foto Melancholie zum Ausdruck bringen, spiele ich mit Licht und Schatten, wie es zum Beispiel sehr gut in der Low-Key-Fotografie dargestellt werden kann, in der oft düstere und traurige Stimmungen gewollt sind. Da ist die Schwarzweiß-Variante meiner Meinung nach einfach unverzichtbar, denn die gewollte Wirkung wird auf diese Weise intensiviert. Und so hat jeder seine Präferenzen... Würde man eine Meinungsumfrage starten, würde die Mehrheit eher mit den Schultern zucken und sagen: kommt drauf an, manchmal passt Farbe, manchmal schwarzweiß. Ich lege mich da nicht fest und persönlich tendiere da zu Letzterem - ich lege mich nicht fest, denn gerade in der Konzertfotografie kann allein durch die reale Farbwiedergebung, z. B. des Scheinwerferlichtes, eine wunderbare Stimmung eingefangen und ins Foto transportiert werden. Und mal ehrlich, was wären Michael van Merwyks-Chucks ohne die knallrote Farbe?

Rocktimes: Das Jahr hat den ersten Monat hinter sich. Welche Aufgaben stehen für Euch in den kommenden Monaten an? Und, welchen Künstler, Musiker, Schauspieler oder welches Motiv wäre für Euch das absolute Highlight?

Beate: Aufgaben? Ja, zunächst einmal für's kommenden Wochenende. Ich bekam eine Anfrage von Jan Fischer, die Jessy Martens Band und The Wake Woods drei Tage bei ihren Konzerten fotografisch zu begleiten. Leider konnte ich nur für ein Konzert zusagen. Ansonsten freue ich mich wie alljährlich auf den Mai. Dann geht's nach Eutin zur Blues Baltica, einem Open-Air-Festival auf dem Eutiner Marktplatz. Vier Tage von morgens bis abends Blues mit Künstlern aus Europa schwerpunktmäßig Skandinavien, Baltikum, Deutschland sowie Nordamerika. Es ist immer wieder spannend, die vielen neuen Musiker und deren Musikstilrichtungen kennenzulernen. Außerdem werden Fotoausstellungen gezeigt, in denen man sich inspirieren lassen kann. So erinnere ich mich gerne in 2012 an fantastische Fotografien von der Fotografin Mechthild Op Gen Oorth. Oder auch nicht zu vergessen die German-Blues-Award-Übergabe an den schon leider verstorbenen
Fritz Rau. Ja...also mein Highlightfoto hätte den Titel "Angie" (lacht - Bezugnehmend zu 2 Fragen vorher)

Lutz: In diesem Jahr voraussichtlich drei Fotoausstellungen. Eine "Faces of Rock" wird es Anfang April in Hoppegarten geben, eine zweite, hoffentlich, im Juni in Binz beim Bluesfestival. Eine dritte ist noch nicht terminiert aber vorbesprochen. Gemeinsam mit dem großen Fotografenkollegen und Maler Günther Schäfer, dem Mitbegründer der East-Side-Gallery, eine Ausstellung mit Street-Fotografie. Dann die Suche nach einem Verlag für einige langjährige Fotostrecken. Und natürlich die weitere Zusammenarbeit mit dem Musiker Markus Siebert. Da steht für dieses Jahr einiges an Produktionen auf dem Programm, was viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Absolute Highlights, ach das muss überhaupt nicht großes Kino sein. Ich liebe Menschen, Musiker, Künstler. Da kommt es mir persönlich überhaupt nicht auf große Namen an, wenngleich diese Bilder natürlich immer mehr Aufmerksamkeit erregen. Wenn es denn um große Namen geht, persönliche Highlights, da würde der Platz nicht ausreichen. Ganz oben die Stones, John Mayell, Werner Lämmerhirt und Johnny Depp. Hinter der Kulissen, Atmosphäre...

Rocktimes: So meine 'Lieben', mein Wissensdurst bezüglich der Konzertfotografie ist dank Eurer ausführlichen Antworten gestillt. Dafür noch mal ein großes Dankeschön! Schon aus Tradition haben bei mir die Befragten das letzte Wort.

Beate: Ich möchte jedem Musikfan ans Herz legen, Live-Konzerte zu besuchen. Es ist immer wieder ein tolles Erlebnis, die Künstler zu sehen und ihre Musik zu hören und zu fühlen. Dieses Feeling ist durch keine CD oder etwa Streaming & Co zu ersetzen!

Lutz: Ich darf dazu vielleicht den großen Andreas Feininger bemühen: »Die Tatsache, dass eine im konventionellen Sinn technisch fehlerhafte Aufnahme gefühlsmäßig wirksamer sein kann als ein technisch fehlerloses Bild, wird auf jene schockierend wirken, die naiv genug sind zu glauben, dass technische Perfektion den wahren Wert eines Fotos ausmacht.« oder noch besser »Es gibt nur eine Regel in der Fotografie: Entwickle niemals einen Film in Hühnchensuppe.« (Freeman Patterson).
Vielen Dank für das Interview! Es ist toll und spannend, dass sich hier zwei unterschiedliche Blickwinkel treffen durften. Ich nehme mir auch aus Beates Antworten vieles als Bereicherung mit.

Externe Links:

Lutz Müller-Bohlen Genannt Gramm
Lutz Müller-Bohlen Genannt Gramm bei Facebook
Beate Grams
Beate Grams bei Facebook